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Wie politisch ist Gott?
Manche meinen, die Kirche solle zu allem Weltlichen schweigen. Aber das ist ein Irrtum. Das Evangelium ist ein Auftrag, sich gesellschaftlich einzumischen.
- Kleine Zeitung Kaernten
- 19 Jun 2022
- Von Bernhard Körner
Sollen Religionen politisch werden? Die Frage ist überflüssig - sie sind politisch. Wenn in einer Gesellschaft Menschen entsprechend ihren Überzeugungen leben und handeln, und das noch dazu in Institutionen, dann werden sie zu einer politischen Größe. Das muss nicht Parteipolitik sein; diese wird oft bewusst abgelehnt. Aber dass auch religiöse Menschen - genauso wie Atheisten oder Agnostiker - ihre Vorstellung von der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens zur Geltung bringen wollen, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Allerdings gibt es außerhalb und innerhalb von Religionen Stimmen, die Gott und die Politik streng trennen wollen. Sie bestehen darauf, dass die Politik nicht in die Kompetenz von religiösen Führern, Bischöfen und Priestern gehört. Sie sollen sich mit Gott beschäftigen, aber nicht mit Wirtschaftsfragen, dem Welthandel oder der Frage des Klimas. Freilich: In allen politischen Fragen geht es um Menschen und ihr Schicksal – und sie immer ein Thema der Religionen.
Und deshalb gibt es genügend andere gläubige Menschen, für die der Einsatz für gesellschaftliche Aufgaben keine Überschreitung der Kompetenz und keine Inkonsequenz ist. Sie engagieren sich nicht trotz Glaubens, sondern als Konsequenz ihres Glaubens an Gott. Der Glaube an Gott schärfe ihnen den Blick für die Wirklichkeit, die Würde und das Schicksal der Menschen und für die Notwendigkeit von gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sich menschliches Leben entfalten kann. Sie sehen die Wirklichkeit im Licht ihres Glaubens: Die Erde mit ihren natürlichen Ressourcen ist nicht unser Besitz und kein Rohstofflager, das wir ausbeuten dürfen, sondern sie ist uns Menschen zu treuen Händen anvertraut. Alle Menschen sind gleich in ihrer Würde und dürfen nicht als Schachfiguren der Politik oder der Wirtschaft behandelt werden. In diesem Sinn spricht Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“von der „Sorge für das gemeinsame Haus“.
Wie zum Beispiel die Formulierung der Menschenrechte und anderer Vereinbarungen klarmacht, sind diese Werte kein Monopol der Religionen, aber Religiosind nen können eine große Hilfe sein, dass sie öffentlich in Erinnerung gerufen, zu festen Überzeugungen und einem tatkräftigen Engagement werden. In diesem Sinn kann an die erste Europäische Ökumenische Versammlung 1989 in Basel erinnert werden. Sie hat drei politisch bedeutsame Begriffe zu einem Programm verbunden und zu Leitmotiven eines Prozesses gemacht: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Worauf sich
in Basel Vertreter der christlichen Konfessionen geeinigt haben, das hat Kreise gezogen. In verschiedenen Treffen und Konferenzen sind auch Vertreter der anderen Weltreligionen ins Boot gekommen und tragen das Anliegen mit. Nicht zuletzt sind die interreligiösen Treffen für den Frieden in Assisi und in anderen Städten zu nennen.
Diese Beispiele machen sichtbar, dass trotz aller Unterschiede zwischen den Religionen die plakative Gegenüberstellung von Glaube an Gott auf der einen Seite und Einsatz für die Gesellschaft auf der anderen über weite Strecken den Religionen nicht gerecht wird. Für ein gesellschaftspolitisches Engagement braucht es eine klare Unterscheidung der Kompetenzen, nicht nur theologische Kenntnisse, sondern auch ausreichende Sachkenntnisse in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Das vorausgesetzt kann man durchaus sagen: Gott ist auch - eine politische Größe.
Es sei erlaubt, darauf hinzuweisen, dass im Christentum das gesellschaftliche Engagement sehr direkt damit verbunden ist, wie Gott verstanden wird. Es spiegelt sich darin der Glaube an einen Gott, der nicht in ferner Erhabenheit geblieben ist, unberührt von den Geschehnissen in der Welt, sondern sich in Jesus von Nazareth auf die Geschichte und die Wechselfälle eines menschlichen Schicksals eingelassen hat. In einem Lied, das Paulus in seinem natürlichen Brief an die Gemeinde von Philippi zitiert, heißt es: Jesus „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“Darin hat sich auf unerwartete Weise ein unerwarteter Gott gezeigt.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Gott ist der Rede wert“, in dem Bernhard Körner der Frage nachgeht, ob der Glaube an Gott für uns Menschen heute noch guten Gewissens möglich ist.