Wie kam es dazu?
Eduard Steinwender wurde 1895 in Maria Lankowitz in der Steiermark geboren. Noch vor der Reifeprüfung trat er in die Österreichische Franziskanerprovinz zum hl. Bernardin von Siena ein und erhielt den Ordensnamen Angelus. Sein Studium schloß er mit dem Doktor der Theologie.
Politisch gesehen, war P. Angelus Mitglied der Vaterländischen Front. Dementsprechend fiel seine Würdigung für den im Juli 1934 ermordeten Bundeskanzler Dollfuß aus: "Großes hat der von Statur aus kleine Dollfuß für Österreich getan. Er hat ... die Liebe zu Österreich geweckt ... ."
Der "Anschluß" 1938
Im Jahr 1938 erfolgte der Anschluß Österreichs an Hitler-Deutschland. P. Angelus über den 11. März: "Die Ravag spielte noch einmal die Bundeshymne. ...Und dann überstürzten sich die Ereignisse. In der Nacht noch wurde eine nationalsozialistische Regierung gebildet. Am kommenden Tage hängten die nationalsozialistischen Flaggen, die Anhänger erschienen in Uniform und mit der Armbinde, die deutschen Truppen marschierten ein und mit ihnen der Führer Hitler."
Nach dem Anschluß gab der Provinzial der Franziskaner, P. Pelagius Klemencic, für die Brüder folgende Weisung heraus: "Wir müssen die staatliche Obrigkeit ... anerkennen und ihr Gehorsam leisten. Auf der Kanzel ist alles sorgfältig zu vermeiden, was irgendwie als Polemik ... an dem gegenwärtigen System aufgefaßt werden kann." Zu groß war die Angst vor dem neuen Regime. Im Juli 1939 wählte das Kapitel P. Angelus zum neuen Provinzialminister der Wiener Franziskanerprovinz mit ihren insgesamt 120 Patres und Fratres. Eine in dieser Zeit sehr schwierige Aufgabe!
P. Kapistran Pieller
Wilhelm Pieller kam 1891 in Wien zur Welt. Knapp vor seinem 18. Geburtstag trat er in den Franziskanerorden ein und erhielt den Namen des heiligen Johannes Capistran. Nach dem Abschluß des Theologiestudiums erlangte P. Kapistran in Graz den Doktortitel in den Staatswissenschaften. Neben seinen Studien wirkte P. Pieller als Seelsorger in der Studentenverbindung Carolina. Und schon bald schloß er ein zweites Studium ab, nämlich jenes der Rechtswissenschaften.
Dritte Promotion
Im Bürgerkriegsjahr 1934 war P. Pieller als Seelsorger im Gefangenenhaus St. Pölten tätig. Danach wurde er wieder nach Graz versetzt, wo er seine theologischen Studien mit einem weiteren, seinem dritten Doktorgrad zu Ende brachte. Daß seine Predigten "hochwissenschaftlich" waren, nicht selten gerade deshalb für die Gläubigen unverständlich blieben, berichtet die Klosterchronik.
Im Sommer 1940 kam P. Kapistran in das Eisenstädter Kloster. Dieses hatten die ungarischen Franziskaner ein Jahr zuvor ihren Wiener Mitbrüdern übertragen, da mit dem Anschluß Österreichs an Hitler-Deutschland das Haus nicht mehr von Ungarn aus geführt werden konnte.
Antifaschistischer Widerstand
In die Eisenstädter Zeit fällt P. Kapistrans Unterstützung für die "Antifaschistische Freiheitsbewegung Österreichs", einer Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime. Die drei Schlüsselfiguren der Bewegung waren der Priester Dr. Anton Granig und der Landtagsabgeordnete Karl Krumpl, beide aus Kärnten, sowie der Franziskanerkleriker Frater Benno. Letzterer war als Soldat in Klagenfurt tätig und verteilte regimefeindliche Flugzettel. Bei deren Erstellung unterstützten ihn die beiden Patres Angelus Steinwender und Kapistran Pieller.
Verhaftung
Am Morgen des 6. Juli 1943 erscheinen Beamte der Geheimen Staatspolizei im Büro von Provinzial P. Angelus im Wiener Kloster. Er wird verhaftet und in Zivilkleidern abgeführt. Am 23. August wird dasselbe Schicksal dem Eisenstädter Hausoberen P. Kapistran zuteil. Drei Männer von der Gestapo nehmen ihn "ohne Bekanntgebung der Ursache" fest. Ebenfalls inhaftiert wurden bis Ende Sommer 1943 alle übrigen Mitglieder der "Antifaschistischen Freiheitsbewegung Österreichs," kurz AFÖ. In der Wiener Haftanstalt Rossauer Lände und im Landesgericht verbringen Steinwender und Pieller etliche Monate der Ungewißheit.
Prozeß und Urteil
Der Prozeß gegen die 13 verhafteten Aktivisten der AFÖ hätte am 20. Juli 1944 stattfinden sollen. Da an diesem Tag Graf Stauffenberg ein Attentat auf Hitler verübte, wurde die Verhandlung auf August verschoben. Die Anklageschrift beschuldigte Steinwender, dem Kleriker Frater Benno für die Herstellung von Flugblättern Schreibmaschine und Vervielfältigungsapparat zur Verfügung gestellt zu haben. Pieller legte der Gestapo-Bericht zur Last, der AFÖ 150.- Reichsmark und zwei Revolver überlassen zu haben. Außerdem soll er den Text für ein Flugblatt verfaßt haben.
Am Tag der Urteilsverkündung war der Saal im Justizpalast bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Anblick des Richters, Staatsanwalts und der Vertreter der Partei "war schon so, daß man klein geworden ist," erzählt ein Zeitzeuge. Drakonisch die willkürlich verhängten Strafen: P. Angelus und P. Kapistran werden zusammen mit sechs weiteren Angeklagten zum Tod verurteilt! Geschockt reagierten die Mitbrüder der zum Tod verurteilten Priester: "Nicht wenig entsetzt waren wir alle und konnten es nicht glauben!"
Todeszelle
Vom Gerichtssaal kamen die Delinquenten in den Todeskerker des Landesgerichts. In den Zellen gibt es hier nicht einmal Pritschen, eine Glühbirne brennt die ganze lange Nacht über. Regelmäßig holen die Wächter Gefangene aus den Zellen zur Exekution ab.
Für Steinwender und Pieller reichten inzwischen etliche Personen bei den NS-Stellen Gnadengesuche ein. Vergebens! Als die Rote Armee vor den Toren Wiens stand und die Entlassung sämtlicher Gefangenen erfolgte, waren P. Angelus und P. Kapistran nicht unter den Freigelassenen. Die beiden Franziskaner verließen am 4. April 1945 die Anstalt zusammen mit 46 Todeskandidaten in einem Gefangenentransport, der zur Tarnung der fliehenden SS-Wächter zu Fuß in Richtung Norden aufbrach. Ein Augenzeuge: "Da sieh! ... Wie sie paarweise aneinandergekettet aus dem Tore schreiten. ... Der Zug der Todeskandidaten. In grauen Kluften, mit grauen, verfallenen Gesichtern. ... Wesen, die noch nicht tot sind und nicht mehr leben." Über Stockerau führte der beschwerliche viertägige Marsch in die Haftanstalt Stein/Donau.
Tod in Stein
Drei Tage vor deren Ankunft war es im Steiner Gefängnis zu einem Massaker gekommen: Als der Leiter der Anstalt, Hofrat Kodré, am 6. April die Freilassung der etwa 1800 Insassen anordnete und bereits etliche von diesen in Freiheit waren, rückten plötzlich Kräfte der SS, SA und Wehrmacht aus und richteten "ein unvorstellbares Blutbad" an. NS-Leute übernahmen die Leitung des Gefangenenhauses. Am 15. April wurde der Befehl zur Hinrichtung der 46 Wiener Häftlinge erteilt. Jeweils zu zweit wurden sie von den Gestapo-Henkern im Hof der Anstalt erschossen.
P. Angelus Steinwender und P. Kapistran Pieller waren sofort tot. Die beiden Patres fanden ihre letzte Ruhestätte in einem Massengrab in Stein. (bgw)
Danke P. Gottfried für die Aufarbeitung der franziskanischen Geschichte.