Pressemitteilung
des Dekans der Theologischen Fakultät Graz zum Hochschulkonzept der Industriellenvereinigung
Bei der Präsentation des Hochschulkonzepts der Industriellenvereinigung hat deren Präsident Mag. Georg Kapsch vorgeschlagen, man solle Überschneidungen von Studienangeboten dadurch vermeiden, dass man ganze Fakultäten schließt, und hat als Beispiel die Theologie ins Spiel gebracht: „Wir brauchen nicht an jeder Universität jedes Fach. Wenn jemand Theologie studieren will, soll er in Wien studieren.“ Dass die Industriellenvereinigung in einem Positionspapier besonders darauf achten wird, technische sowie naturwissenschaftliche und gegebenenfalls auch wirtschafts-wissenschaftliche Fächer zu forcieren, liegt in der Natur der Sache. Der Vorschlag, dass für diese Fächer höhere Stipendien als für andere bezahlt werden sollen, zeigt aber zugleich die Missachtung etwa der Geisteswissenschaften auf. Offenbar steht die Theologie überhaupt am Rande dessen, was aus der Sicht von VertreterInnen der Industriellenvereinigung für eine gegenwärtige Gesellschaft von Bedeutung ist.
Die Entwicklungen der letzten Wochen haben hingegen gezeigt, dass für die Fortentwicklung gegenwärtiger Gesellschaften nicht ein einseitig auf Wirtschaft ausgelegtes Hochschulsystem förderlich sein kann, sondern dass gerade Theologie eine gesteigerte Bedeutung erlangt hat. Fragen interreligiöser Verständigung, Migration und soziale Integration, weltanschauliche Orientierung und Seelsorge sowie nicht zuletzt wirtschafts(!)ethische Probleme machen sichtbar, wie wichtig eine gegenwartsorientierte Theologie im Fächerspektrum einer Universität und für die wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskussionen vor Ort ist.
Die Industriellenvereinigung beurteilt Universitäten offenbar vornehmlich nach dem Maßstab von Ausbildungsmöglichkeiten und bewertet diese einseitig nach dem Nutzen für Wirtschaft und Industrie. Was für andere Fächer gilt, trifft freilich auch für theologische Fakultäten zu: Über die Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, die im Bereich Theologie, Religionswissenschaft und Ethik angeboten werden, hinaus wird dort auch intensiv und oft interdisziplinär geforscht. Zu meinen, man könne auf theologische, religionswissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse einfach verzichten, zeugt von einem Wissenschafts- und Gesellschaftsbild, das religiöse, soziale und caritative Entwicklungen nicht genügend ernst nimmt.
Reinhold Esterbauer
Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz
Mit herzlichen Grüßen
Siegfried Kager
Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 0664 4930898